Fünf Fragen an…
Friedemann Fegert, Dr. phil.
geboren 1946, Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geographischen Institut der Universität Trier, Gymnasiallehrer. Er verfasste zahlreiche Beiträge zur historisch-geographischen Siedlungsforschung und hat mit „Ihr ghönt es Eich gar nicht vorstelen wie es in Amerigha zu ged” ein Standardwerk der Migrationsforschung vorgelegt. Die englische Übersetzung “You cannot imagine what it is like in America.“ liegt seit 2021 vor.
Er war an Museumsprojekten im Freilichtmuseum Finsterau/Bayerischer Wald, der Wanderausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte „Good bye Bayern – Grüß Gott America” und dem Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven beteiligt. Für das Museum „Born in Schiefweg” hat er ehrenamtlich die Auswanderung von Bayern nach Nordamerika erstmals detailliert und anschaulich aufbereitet und mit „Emerenz Meier in Chicago – Auswanderung und Leben ihrer Familie in Amerika“ der Dichterin ein umfassendes Buch gewidmet. In „Wie hinh mein Schiksal führt“ stellt der Autor das Leben dreier Schwestern in Chicago äußerst anschaulich anhand von Briefen und einem Jahrbuch der Familie dar. Ergänzt werden die Erkenntnisse aus den historischen Dokumenten durch aktuelle Interviews, die mit den Nachfahren der Auswanderer über ihre Jugend in der neuen Heimat geführt wurden. In verschiedenen Ausstellungen und Vorträgen vermittelt der Migrationsforscher regelmäßig tiefe Einblicke in das Schicksal der Bayerwald-Auswanderer nach den USA. Mit „Oh wie schön ist Indigo” legte er ein grundlegendes Werk zur Tradition, Kulturgeschichte und Technik des Blaudrucks im Bayerischen Wald vor.
Frage 1:
Ihr Buch „Ihr ghönt es Eich gar nicht vorstelen wie es in Amerigha zu ged“ gilt als Standardwerk der Auswanderungsforschung. Wie kommt ein Gymnasiallehrer aus Karlsruhe dazu, sich so intensiv mit der Auswanderung aus dem Bayerischen Wald von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert hinein zu beschäftigen?
Friedemann Fegert:
Ursprünglich hatte ich lediglich zwei Seiten über Amerika-Auswanderer in einer Veröffentlichung über die Entstehung der planmäßigen Siedlungen im Bayerischen Wald geschrieben. Der Herausgeber meinte, ich solle doch einen Aufsatz in einer Fachzeitschrift aus diesem Aspekt machen. Paul Praxl, der damalige Kreis-Archivpfleger, hat mich dabei sehr unterstützt. Bei der Fülle der Forschungsmaterialien beschränkte ich mich schließlich auf die 40 Rodungsdörfer des Fürstbistums Passau. In fünfjähriger Arbeit entstand damit ein Standardwerk mit 540 Seiten, das in zweiter, erweiterter Auflage in der „edition Lichtland“ vorliegt. Jetzt wird endlich die von den Amerikanern lang erwartete englischsprachige Ausgabe folgen.
Frage 2:
Wenn man „Emerenz Meier in Chicago“ liest, hat man den Eindruck, dass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in amerikanischen Städten schon das gab, was wir heute abschätzig als „Parallelgesellschaften“ bezeichnen. War das so?
Friedemann Fegert:
Aber natürlich! Ich konnte zeigen, dass es etwa in Chicago nicht nur ein deutsches oder bayerisches Viertel gab, sondern vielmehr sogar ein Viertel, in dem sich fußläufig zahlreiche Auswanderer aus dem kleinen Grenzort Herzogsreut an der böhmischen Grenze zusammenfanden. Es gab in diesem „Herzogsreuter Viertel“ die deutschsprachige Kirche St. Alphonsus mit deren deutscher Schule und einem katholischen Sozialwerk, deutsche Lebensmittelgeschäfte, deutsche Zeitungen und vor allem die deutsche Sprache, ja sogar den heimischen Dialekt der Bayerwaldler. Dies bot Zusammenhalt und Geborgenheit. Denn immerhin kam die Dichterin Emerenz Meier aus einem 300-Seelen-Dorf in die Mega-City Chicago mit 1,8 Millionen Einwohnern. Dies hat sie nahezu sprachlos gemacht oder zu wütenden antikapitalistischen Gedichten veranlasst. Sie war glücklich, in Antiquariaten alte deutsche Reclam-Hefte zu finden.
Frage 3:
Ob es die Stadler-Schwestern aus Herzogsreut oder die Heimatdichterin Emerenz Meier war, die Sehnsüchte nach einem besseren Leben haben sich oft nicht erfüllt. Sehen Sie Parallelen zu den Migrationsbewegungen von heute?
Friedemann Fegert:
Ja, die Hoffnung auf ein besseres Leben hat die Menschen seit dem 19. Jahrhundert veranlasst, in die Neue Welt Amerika zu gehen. Hoffnungsvolle Briefe wie „Ihr ghönt es eich gar nicht vorstelen wie es in Amerigha zu ged“ (so einer meiner Buchtitel) bestärkten sie. Sie gaben auch bei der Behörde an, „schlimmer kann’s nicht mehr kommen“. Landlose junge Frauen hatten in Amerika die Aussicht, Farmland günstig oder umsonst zu bekommen und dort auch die Väter ihrer unehelichen Kinder heiraten zu dürfen. Aber in einem dieser Briefe steht auch die Warnung: „Wenn du kein Amerikanisch kannst, lebst du wie ein Hund.“ Auf dem Höhepunkt der Amerika-Auswanderung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es schon gerissene Schleuser und ein umfangreiches Auswanderungsgewerbe mit Übernachtungshäusern in Hamburg für 3000 Menschen bis hin zu den Fotografen, die Abschiedsfotos aufnahmen. Bei keinem meiner Auswanderer kann ich sagen, dass er es vom „Tellerwäscher zum Millionär“ gebracht hätte. Allerdings hat Kathy Stadler ihre Familie damit durchgebracht, dass sie ihre bayerische Wirtschaft „Zur Heimat“ aufgemacht hat. Die Dichterin Emerenz Meier hat heimlich deutsches Bier gebraut. Carl Clemens wollte mit Glücksspiel seine Arbeitslosigkeit überwinden. Die Kinder- und Enkelgenerationen sind Amerikaner geworden und haben sich ihre Stellung in der Gesellschaft erobert, sind Theaterdirektoren, Flugkapitäne, Mitarbeiter in der Landwirtschaftsverwaltung oder Uni-Professoren geworden.
Frage 4:
Haben wir heute immer die richtige Brille auf, wenn wir über Wirtschaftsflüchtlinge klagen und Angst vor ihnen haben?
Friedemann Fegert:
In der Tat gab es bei der Auswanderung seit dem 19. Jahrhundert auch Kriminelle, denen man einen Pass gab, damit man sie in Bayern los war. Doch was wären die USA geworden, wenn sie nicht das hohe geistige und unternehmerische Potential der Einwanderer aus Deutschland, Europa und der Welt gehabt hätten? Schon William Penn hat zu Beginn des 18. Jahrhunderts in der Pfalz dafür geworben, mutige Leute zum Aufbau seines Landes „Pennsylvania“ zu finden. General Washington legte Wert darauf, im Unabhängigkeitskrieg gefangene deutsche Söldner gut zu behandeln, dass sie nach ihrer Freilassung und Rückkehr nach Deutschland von der Demokratie in Amerika künden sollten. Im 21. Jahrhundert lehrt ein Freund, dessen Vorfahren aus Bayern und der Schweiz stammten, an einer pennsylvanischen Universität als Professor für „Mechanical Engineering“, um mit seiner Forschung über Schwingungen etwa weltweit Staudämme sicherer und Kühlschränke effizienter zu machen. Das Glück der Zuwanderer kann also auch das Glück der „Alteingesessenen“ ihrer Ankunftsländer sein.
Frage 5:
„Oh wie schön ist Indigo“ ist Ihr jüngstes Buch. Tradition, Geschichte und Technik des Model-Handdrucks und des Blaufärbens am Beispiel der Familie Fromholzer ist das Thema. Es ist nun in zweiter Auflage wieder lieferbar. Wenn die Geschichte des Handwerks nicht aufgeschrieben wird, geht sie verloren?
Friedemann Fegert:
Genau das war für mich der Impuls, denn es wäre ein Kulturverlust, wenn die Geschichte einer Handwerkskunst, die 375 Jahre von 8 Generationen gepflegt wurde, einfach verschwinden würde. So habe ich Jahrhunderte altes Wissen um Stoffe, Färbeverfahren und Farbmischungen in Gesprächen mit dem heute 93 Jahre alten Josef Fromholzer dokumentiert. Dazu hat er mir alle seine Schätze offengelegt: alte Briefe, Färberezepte, die seine Vorfahren auf der 6000 km langen Wanderschaft zusammengetragen haben, dicke Musterbücher und Blaudruckdecken aus dem 19. Jahrhundert. Er und sein Geselle Willi Preiß haben mich daran teilhaben lassen, wie Leinenstoffe bedruckt und gefärbt werden. Josef Fromholzer ist heute der einzige Blaudruckermeister zwischen Erfurt und Oberösterreich. Gerade in unserer modernen Zeit will ich mit meinem Indigo-Buch diese alte Kulturtechnik dem Bewusstsein der Menschen erhalten. Diese Erkenntnis hat auch jüngst die UNESCO gewonnen, indem sie den Blaudruck zum Weltkulturerbe erklärt hat. Darüber hinaus hat Josef Fromholzer selbst anlässlich meiner Blaudruck-Ausstellung nun den Kulturpreis des Landkreises Regen überreicht bekommen.