Fünf Fragen an:
Karl-Heinz Reimeier
Ein geborener Waidler mit vielen Auszeichnungen in der ostbayerischen Kulturszene, vom Kulturpreis der Hanns-Seidel-Stiftung bis zum Baumsteftenlenz-Heimatpreis, Verfasser unzähliger heimatkundlicher und lyrischer Texte und Bücher, Bestseller-Autor des Lichtland Verlags, Musiker, Heimatpfleger des Landkreises, Garant für volle Häuser bei Lesungen, Vorbild im Ehrenamt, Schulleiter im Ruhestand. Sein Lieblingsplatz ist das Arbeitszimmer und in seinen unzähligen Bücherregalen ist echt kein Platz mehr.
Frage 1:
Die „Weihrazg’schichten“ sind Ihr bisher größter Erfolg. Wie geht es einem persönlich, wenn jemand so eine Geschichte aus der „Zwischenwelt“ erzählt. Bekommt man da manchmal Gänsehaut?
Karl-Heinz Reimeier:
Dieses „Gänsehaut-Gefühl“ spielt immer eine große Rolle. Manchmal wegen der tatsächlich persönlich erlebten, unfassbaren und nicht erklärbaren Geschichten, häufiger aber noch wegen des Mitempfindes mit den Gewährspersonen. Wenn diese ihre Erlebnisse an mich weitererzählen, kehren bisweilen die Erinnerungen so wuchtig und intensiv zurück, dass ich als Zuhörer die Erregung spüren kann, oder die Angst, die in die Augen steigt, ich sehe die Tränen, die sich nicht mehr zurückhalten lassen. Schutzsuchend greifen manche während des Erzählens nach meiner Hand, um sich daran festzuhalten. Das Erleben solcher Situationen hinterlässt bei mir bleibende Eindrücke, die ich bei Lesungen immer wieder auch vor Augen habe.
Frage 2:
Wie wichtig ist der bestärkende Satz „Und gewiss wahr is gwen…“ am Ende der Geschichte? Hilft das den Zuhörern?
Karl-Heinz Reimeier:
„Genau a so is`s gwen!“ Dieser Schlusssatz, so oder ähnlich, ist sehr wichtig. Er gehört zum Wesen und Aufbau von Sagen und Weihrazgeschichten, der sich in drei Teile gliedern lässt: 1. Wann ist die Geschichte passiert? (Was sich oft im Nebelhaften und Ungewissen verliert: vor langer, langer Zeit – vor den Kriegen –, manchmal aber sehr direkt und konkret bezeichnet wird: Meine Oma, der Nachbar, usw…). 2. Wo ist die Geschichte passiert? (wobei meistens bekannte Örtlichkeiten benannt werden wie „Am Bachl`“ – „drunt auf da Wies“ – hinterm „Waidl“, …usw.) und 3. „Genau a so is`s gwen“, und „die Gschicht is wirkle woah!“ zur nachdrücklichen Bestätigung, um die Erzählung so glaubhaft wie möglich zu machen. Leute, die mir ihre Geschichten mitteilen, sprechen diese Schlusssätze sehr betont, sehr überzeugt, mit Nachdruck. Bei den allermeisten meiner Gewährspersonen bin ich mir sicher, dass dieser Schlusssatz von persönlicher Bedeutung ist. Die Ehrlichkeit und das Vertrauen, die während unserer Gespräche zu verspüren sind, zerstreuen jegliche Zweifel daran, dass sie „ihre“ Geschichten nicht wirklich erlebt hätten.
Frage 3:
Der wahre Karl-Heinz Reimeier steckt in seinem kleinen Buch „Gedichte“ – so hat man den Eindruck. Sie sagen Gedichte sind eine große Hilfe den Alltag zu bewältigen. Wie funktioniert das?
Karl-Heinz Reimeier:
Das Leben stellt täglich neue Aufgaben, leichter lösbare, schwerer lösbare. Beim Hinsetzen an den Schreibtisch, beim schriftlichen „Sich-Gedanken-Machen“ geht man die unlösbar geglaubten Aufgaben langsam, im Schreibtempo an. Die Gedanken können dem Bleistift folgen, überstürzen nicht, ordnen sich allmählich logisch und führen dabei in vielen Fällen an ein Ziel, das Lösungen anbietet, an die man im Alltag nie gedacht hätte. Beim Schreiben fühle ich mich intensiv am Leben, da beschäftige ich mich mit Themen aus der täglichen Wirklichkeit, die ich gerne lyrisch verdichtet „auf den Punkt“ bringen möchte. Deshalb muss ich mich beim schriftlichen Fixieren äußerst konkret damit auseinandersetzen: wie formuliere ich das, wie drücke ich das aus, wie fasse ich das in Worte, um es verständlich zu machen. Dieses intensive Suchen führt immer zu einer inneren Diskussion mit mir selbst, führt dabei nicht selten an den Ursprung einer Situation und damit immer wieder auch zu Lösungsmöglichkeiten.
Frage 4:
Sie waren Lehrer und sind auch Kreisheimatpfleger. Wie wichtig ist es den Bogen von der Vergangenheit und den Traditionen in die Gegenwart und in die Zukunft zu Visionen zu spannen?
Karl-Heinz Reimeier:
Die Vergangenheit bietet Erfahrungen an, die bereits gemacht wurden. Aus diesen Erfahrungen kann man Lehren ziehen. Gerade bei meinen Aufgaben in der Heimatpflege befinde ich mich bei Nachforschungen und Recherchen immer wieder in der Vergangenheit – in Archiven zum Beispiel, bei den Erzählungen alter Menschen, in Büchern. Dabei kann man die Anforderungen der unterschiedlichen Zeiten an die Menschen kennenlernen, wir finden heraus, wie sich das Leben abspielte, wie Menschen sich in ihrem sozialen Umfeld zurechtfinden mussten, wie wichtig Gemeinschaften waren. Ich achte dabei bewusst darauf, dieser Vergangenheit nicht zu verfallen, sondern sie mit sachlicher Distanz aus der Sicht der Jetztzeit zu beobachten und zu bewerten. Und ich lerne, was für das Zusammenleben zwischen den Menschen wichtig war, was sich überlebt hat, was verschwunden ist, was verschwinden musste. Daraus entwickelt sich ein Gefühl für die Gegenwart, Wesentliches zu entdecken und von Unwesentlichem zu unterscheiden, sinnvoll Neues anzuerkennen und offen zu sein für Versuche aller Art, das Leben im sozialen Umgang ständig zu verbessern. Aus dieser meist gedanklichen Beschäftigung mit Vergangenheit und Gegenwart heraus entstehen immer wieder Ideen, aus denen sich Visionen für die Zukunft entwickeln.
Frage 5:
Im etwas anderen Landkreisbuch „entfernt- entrückt – entgrenzt“ haben Sie gemeinsam mit Alexandra von Poschinger, Claus Kappl, Christiane Grapentin und Hannelore Hopfer Menschen aus einem anderen Blickwinkel portraitiert. Was war Ihnen dabei wichtig?
Karl-Heinz Reimeier:
Es wurden bei der Auswahl der Themen auch Menschen in den Vordergrund gerückt, die Außergewöhnliches tun, anregen, organisieren, die meisten bescheiden, im Hintergrund. Sie bewegen sich neben dem modischen Mainstream, hängen oft leidenschaftlich intensiv an ihren Ideen und setzen sie auch um, ohne dabei groß auf Öffentlichkeit zu schielen. Im Gespräch mit diesen Menschen war immer wieder zu erfahren, dass sie sich selbst ihres besonderen, außergewöhnlichen Tuns nicht bewusst waren, sie taten, was sie tun mussten, aus innerem Antrieb und aus eigenen Stücken. Dass sie damit beitragen, dem Gesicht des Landkreises ein buntes, ein eigenes, ein besonderes Label zu verleihen, war ihnen nicht bewusst.
Auch beim Porträtieren bekannter Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder sozialen Einrichtungen ging es vorrangig darum, das „andere Gesicht“ zu zeigen, den Menschen hinter dem öffentlichen Erscheinungsbild darzustellen, ihn „nahbar“ zu machen. Dass dies gelungen ist, zeigen Reaktionen wie: „Respekt! Das hätte ich nicht gedacht!“ oder: „Was? Das ist derselbe?“ oder: „Jetzt schau ich den mit ganz anderen Augen an!“
“Seit ich Gedanken schriftlich festhalten kann, schreibe ich Gedichte.”
Sie sind Karl-Heinz Reimeier eine große Hilfe, das Leben zu bewältigen. Den Alltag, die Träume, die Visionen mit Worten einzufangen und auf den Punkt zu bringen.